Holger Birkholz about "Gewandel 4"
in "31. Kasseler Dokfest", festival catalog, 2014, Filmladen Kassel e.V. (ed.)

 
Kristina Berndt: Gewandel 4
Dresden 2014/ 4 Video-Projektoren, 4 HD-Player, 3 Verstärker, 6 Lautsprecher (3:20 min)

Rhythmische Geräusche gehören zu den vornehmlichen Eindrücken von GEWANDEL 4: unter anderem ein synthetisch klingender Grundton, gleichmäßig marschierende Schritte, in Abständen ein dumpfer Aufprall. Sie bilden ein Geflecht, das als Komposition wirkt: Die gemessene Zahl der Tonfolgen erscheint gezielt gesetzt. Zäsuren der Stille gliedern den Klangraum in Abschnitte. Das Verhältnis von Handlung und Stillstand strukturiert in gleicher Weise die Bilderfolgen in den dazugehörenden vier Videoprojektionen. Auch wenn die Momente des Innehaltens in der Handlung der beteiligten Figuren defacto nur sehr kurz sind, so verweilen sie doch deutlich länger als für die Zeit eines Atemzuges. Sie stehen still als würden sie warten oder sich für den nächsten Handlungsschritt sammeln. Alles folgt zwangsläufig einer inneren Logik, wie die Bewegungsmuster des Newtonschon Pendels, dessen Ausschlag in einer der Projektionen verlangsamt erscheint und bei dem die Übertragung der Energie durch die vier im Stillstand verharrenden Kugeln nicht zu erkennen ist. Ebenso unsichtbar bleibt die Phalanx der acht Frauen auf ihrem Weg durch den Raum. Sie sind in einer Projektion zu sehen, wie sie auf den Betrachter zugehen, und können von ihm – wenn er sich der gegenüberliegenden Projektion auf der Wand in seinem Rücken zuwendet – verfolgt werden, wie sie dort ankommen, sich umdrehen und ihre Stäbe aufsetzen. Ihr Aufbruch und ihre Ankunft in den gegenüberliegenden Videobildern rahmen einen Weg. Die Frauen marschieren immateriell wie Geister durch den dazwischen liegenden Raum und mehr noch auch durch die Vorstellung dessen, der ihnen zusieht. Ohne sich dagegen wehren können, verfolgen sie ihren Weg geradewegs durch seinen/ihren Kopf.
Berndt inszeniert einen Videoraum mit albtraumhafter Zwangsläufigkeit, mit der unbeirrbaren Perpetuierung des Videoloops findet das darin aufgeführte Spiel unausgesetzt seine Fortsetzung. Dementsprechend zeigen sich die Akteurinnen ohne Emotion, gleichgültig fast schon unbeteiligt ordnen sie sich der Handlungsstruktur unter. Ihre Kleidung ist Uniform und Nachthemd, sie ist lächerlich, dabei zwängt sie sich dem Zuschauer auf und erreicht eine hohe Zeichenhaftigkeit. Die kurzen schlicht weißen Gewänder lassen so viel Bein sichtbar werden, dass es auffällt. Noch lange ist ihre Nacktheit nicht peinlich, aber schon erscheint es möglich, dass man von ihr bedrängt wird. Vielleicht liegt das alles auch nur an den weißen Mützen, die irgendwie kurios erscheinen, märchenhafte Überbleibsel einer vergangenen Zeit, Schlafmützen, die in Karikaturen seit dem 19. Jahrhundert der „Deutsche Michel“ trägt, um zu zeigen, wie rückständig er ist, wie verschlafen und gerade deshalb auch so folgsam in seiner Obrigkeitshörigkeit. Ein wenig schwingt hier auch die phrygische Mütze mit, Sinnbild der französischen Revolution, allerdings ist sie ihres signifikanten Rots beraubt. Der begleitende Stab ist zugleich Waffe und Taktstock. Gemeinschaftlich aufgesetzt erzeugen die Wanderstäbe einen Schlag, der im Kopf des Zuhörers aufprallt. Nicht ohne Grund wird der Kopf zum zentralen Fokus einer vierten Projektion, in der zwei Frauen einander gegenübersitzen, mit der Hand über den Tisch streichen und so den Marsch der Figuren anzufeuern scheinen, bevor sie schließlich mit der Stirn auf der Tischplatte aufschlagen. Dabei ist es nicht zuletzt bedeutsam, dass hier die Künstlerin selbst sich gegenübersitzt.

Holger Birkholz
 

Kristina Berndt: Gewandel 4
Dresden 2014/ 4 video protectors, 4 HD players, 3 amplifiers, 6 speakers (3:20 min)

Rhythmic sounds are among the predominant impressions of GEWANDEL 4: a synthetic-like keynote, rhythmic marching steps, a thud in intervals. Together they form a composition: The measured sequences of sounds seem to be arranged purposefully. Cesuras of silence divide the sound space into parts. The relation of action and standstill structures the sequences of the four videos in a similar way. Though the moments when the participating figures pause are de facto relatively short, it distinctly takes them longer then a breath of air. They stand still as if waiting or concentrating on their next step. Everything inevitably follows an inner logic like the movement pattern of a newton pendulum. One of the projections shows its swings in near slow motion. The energy transfer of the four balls can not be seen when they remain in stand still. The phalanx of the eight women on their way through the room is likewise invisible. In one projection they walk towards the viewer who can follow their movement when turning to the projection on the opposite wall. There they arrive, turn and tap their spears. Their departure and arrival describe a path. Immateral like ghosts, the women march through the space. Without being able to resist the notion, the figures walk right through the viewers mind and imagination.
Berndt creates a virtual space of nightmarish inevitability where the video loop perpetuates the staged performance and game of the march. Thus, the actors show no emotion. They seem indifferent, almost not to be involved and act only according to the plot. Their clothes resemble uniforms and nightgowns and are ridiculous to behold. The image forces itself upon the viewer and the clothes develop a highly symbolic character. The short and simple white gowns show so much of the legs that the viewers attention is drawn to them. The figures nakedness is nothing they are concerned with, but in the next moment it seems possible that the viewer may be offended by it. Maybe the oddly curious, white hats trigger this impression. They remind one of fairytale-like remains of times long gone or the night caps of the 19th century caricatures of the "Honest Fritz" where they serve as a symbol to show just how backward and sleepy he is. This only makes him all the more obedient to authorities. One might also think of the Phrygian hat, the symbol of the French Revolution, whereas the significant red color is missing. The spear that each figure holds is a weapon as well as a baton. Tapped at the same time, the walking sticks create a beat that resounds in the viewers head. Thus, the head becomes the focal point of the fourth projection in which two women sit across from each other. Their hands stroke the table to encourage the march. In the end their heads fall onto the tabletop. Is it not without reason that in this image the artist faces herself.

 


Gwendolin Kremer about "Zu Gast",
in "Keine Bilder ohne Liebe", exibition catalog, Eva and Lothar C. Poll (ed.)

In Zu Gast (2012) übersetzt Kristina Berndt (*1984 in Greifswald) die Beschreibungen der Maler und Zeichner in ein bewegtes Bild. Häufig nimmt die Meisterschülerin Gegenüberstellungen von Innen- und Außenräumen vor, die als Kulisse für eine repititiv vorgenommene Alltagshandlung dienen. Die gestellten Szenerien scheinen von Orientierungslosigkeit in einer sinnentleerten Welt zu berichten. Die Künstlerin tritt in ihren Videoarbeiten selbst als Protagnistin auf. Die ästhetische Imagination und Bedeutung des eigenen Körpers für den Videoplot ist zwar vordergründig keine Auseinandersetzung mit Gender, vielmehr eine Zuspitzung einer ad absurdum geführten Lebenswirklichkeit, die im Subtext aber gleichzeitig auch von Geschlechtlichkeit und kultureller Praxis erzählt.

 

 
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